Fragmente meiner Schulzeit


In der zweiten Klasse (ich war 11 Jahre alt) fand der Werkunterricht jeden Dienstagnachmittag statt. Ich war jedes Mal erleichtert, wenn der Dienstag vorbei war. Leider dauerte es nicht lange bis zum nächsten. Im Nachhinein betrachtet finde ich es äußerst schade, dass mein Werklehrer so ein Monster war. Er hätte mir wichtige und schöne Dinge beibringen können. Stattdessen wählte er den Weg eines unerbittlichen Diktators, der an der Schule seine Macht hemmungslos ausnutzte.
Abgesehen von der fast permanenten Angst, die ich während des Werkunterrichts hatte, kann ich mich an einige Szenen besonders gut erinnern.
In der allerersten Werkstunde ging es darum, dass wir aus Lehm ein Namensschild fertigen sollten. Dafür trug er uns auf, auf einem Zettel einen Entwurf zu zeichnen. Manche Schüler hatten leider kein Papier dabei. Glücklicherweise hatte ich einen ganzen Block dabei und konnte einem Mitschüler leicht etwas davon abgeben.
Das war in den Augen von R. schon das erste Vergehen. Wütend echauffierte er sich darüber, dass die vergesslichen Schüler nicht für ihr Verhalten belohnt werden sollten, indem man ihnen Papier gab. Ich nahm die Situation als sehr bedrohlich wahr und meiner Erinnerung nach senkten auch einige meiner Mitschüler betroffen ihre Köpfe.
Diese Situation war nur ein Vorgeschmack dessen, was in den folgenden Jahren auf uns zu kommen würde.
Anderes Beispiel für die pädagogische Unfähigkeit von R.:
Wir saßen alle an einem Werktisch, weil R. gerade etwas an einer Holzarbeit erklärte. Plötzlich schmiss er das Holzstück (immerhin nur ein kleines) auf einen Schüler und zeterte: „ PASS DOCH GEFÄLLIGST AUF, WENN ICH ETWAS ERKLÄRE!“
Der betroffene Schüler hatte lediglich sein eigenes Werkstück in den Händen hin- und hergedreht, so wie ich manchmal mit einem Kugelschreiber spiele, ohne den Unterricht in irgendeiner Weise zu stören.
Die allgemeine Stimmung im Werkraum war meistens bedrohlich und angespannt für mich. R. duldete keine Unterhaltungen im Werkraum.
In der zweiten Klasse brach ich mir beim Fußballtraining die linke Hand. Darum konnte ich leider nicht mit zur Skiwoche gehen, aber mein Gips hatte auch einen großen Vorteil: Vom Werkunterricht war ich wochenlang freigestellt.
Was mich heute am meisten schockiert: Das Verhalten von R. wurde von uns Schülern toleriert. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand beim Klassenvorstand oder beim Direktor protestiert hätte. Es wurde einfach so hingenommen.
R. starb wenige Jahre nachdem ich die Hauptschule abgeschlossen hatte. Ich war froh, dass die Welt einen psychopathischen Lehrer weniger hatte.
Dabei möchte ich noch anmerken, dass ich bei ihm sehr wohl etwas gelernt habe. Ich habe zum Beispiel gelernt, wie sehr Angst ein Kind belasten und lähmen kann und, wie Menschen ihre Machtpositionen ausnutzen.

Allgemein gesprochen haben es manche Lehrer an der Hauptschule hervorragend geschafft, die Freude am Lernen nicht zu vermitteln. Leider gehörte mein Klassenvorstand ebenfalls zu diesen Lehrern. Sie unterrichtete mich in Mathematik und Geografie. Zuerst Geografie: Die meisten Stunden bestanden daraus, dass sie die Tafel vollschrieb und wir das wiederum in unsere Hefte schrieben. Das Tempo war enorm. Gefühlt wurde die Tafel umgehend gelöscht, sobald sie voll war, nur um dann wieder vollgeschrieben zu werden, und so weiter…
Ich hasste diese Art des Unterrichts.  
Einmal bemerkte H., dass ich meine rechte Hand ausschüttelte, weil sie vom vielen Schreiben schon verkrampft war. Dazu sagte sie leicht bedauernd: „Ja, es ist schon viel.“
Für mich klang es wie: Ja, es ist anstrengend und lästig, aber was soll man machen?
Ich konnte mein Missfallen über diese beschissene Unterrichtsmethode noch nicht formulieren, aber ich war in dem Moment auf alle Fälle wütend auf sie. Sie hätte es ganz anders machen können. Schöner, freudvoller und vor allem effektiver. Ich bezweifle, dass diese Schreibeskapaden sonderlich zum Geografieverständnis der Klasse beigetragen haben. Im Gegenteil.
In der dritten Klasse zog die Hauptschule in ein neues Gebäude um. Helle, moderne Klassenzimmer mit großen Fenstern. Man hätte meinen können, dass sich die Modernität des Gebäudes irgendwie in den Lehrmethoden widerspiegeln würde. Weit gefehlt. Die Pädagogen blieben so schlecht, demotivierend und autoritär wie im alten Gebäude.

Eine weitere Szene demotivierender Brillanz: Meine Englischlehrerin K. fragte regelmäßig Vokabeln ab. Das allein war nicht das Problem. Die Art ihres Abfragens aber schon. Als mein Banknachbar S. von drei abgefragten Vokabeln nur eine wusste, sah sie ihn dermaßen enttäuscht an, als hätte er etwas Schwerwiegendes verbrochen. Sie vermittelte einem das Gefühl, völlig versagt zu haben.
Das war leider eine weit verbreitete Reaktion auf die Fehler von Schülern. Anstatt die Schüler zu positiv motivieren, begnügten sich manche mit dem strafenden Blick der Enttäuschung.
Ich hasse diese Art der Pädagogik. Leider musste ich feststellen, dass sie in manchen Klassenzimmern immer noch normal zu sein scheint. Manchen Schülern mag das egal sein, weil sie vielleicht aufgrund ihrer Erziehung einen groben Ton gewohnt sind.
Mich persönlich haben diese harschen Unterrichtsmethoden jedoch psychisch belastet und (negativ) geprägt. So sehr, dass ich – knapp 20 Jahre später – immer noch darüber nachdenke und schreibe.

Es erfüllt mich mit Abscheu, wenn ich an all die Stunden denke, die das System-Hauptschule mir gestohlen hat. Manche Lehrer waren bemüht, andere überfordert und wiederum andere hätten nie, nie, nie den Beruf des Lehrers annehmen dürfen.

Kommentare